
Welche Macht hat die Presse? Und wie wird diese Macht genutzt? Das sind die grundlegenden Fragen, die The Westport Independent zugrunde liegen. Wir werfen hier noch Begriffe wie Zensur, vierte Gewalt und Objektivität wahllos rein und sind damit mittendrin in einem spannenden Komplex für allerlei presseethische Fragestellungen und Problemen. Das Doofe ist: The Westport Independent macht daraus echt nicht viel.
Vor etwas über fünf Jahren habe ich bereits über das Spiel geschrieben - damals als kurze Preview.
Eine Zeitung in schwarz-weiß
Ich bin der Herausgeber einer Wochenzeitung in einem fiktiven und autoritären Staat der späten 40er Jahre. Als eine der letzten freien Zeitungen des Landes ist es an mir, der Regierung den Hintern zu küssen oder der Staatsgewalt die Rebellen auf den Hals zu hetzen. Klingt das arg Schwarz-Weiß? Ja, das tut es. Und leider, zieht sich diese dualistische Sichtweise durch das gesamte Spiel.
Meine Zeitung kommt also wöchentlich und kann pro Ausgabe maximal vier Artikel bringen. Ich entscheide, welche das sind und welche*r meiner vier Redakteur*innen diesen Artikel übernehmen soll. Die vier Redakteur*innen stehen der Regierung unterschiedlich gegenüber: Einer ist total dafür, einer total dagegen und zwei so mittendrin.
Jede Woche bekomme ich mehrere Artikel zu Auswahl. Bei diesen wähle ich aus zwei (!) möglichen Überschriften und kann Teile des Artikels kürzen – also Informationen weglassen. Mit diesen drei Mitteln (Überschrift, Informationen, Themenwahl) vermittle ich mit meiner Zeitung eine bestimmte Botschaft. Zum Beispiel könnte ich darüber schreiben, dass eine Studie herausgefunden hat, dass sich die Gesundheitsversorgung verbessert hat und dabei die Information weglassen, dass diese Studie von der Regierung finanziert (und damit möglicherweise beeinflusst) wurde.
Diese Botschaft wiederum beeinflusst zum einen die Bekanntheit der Zeitung, den Ruf bei der Bevölkerung und der Regierung, die öffentliche Wahrnehmung der Regierung und auch das Wohlbefinden meiner Beschäftigten. Je nachdem was mein Ziel also ist, Regierung stürzen oder stützen, versuche ich meine Themen zu setzen. Ich kann versuchen, die Regierung in ein möglichst schlechtes Licht zu rücken, darzulegen, wie die arme Bevölkerung leidet, wie öffentliche Gelder verprasst und Medien gleichgeschaltet werden. Oder ich kann die Rebellen als blutrünstige Terroristen darstellen, die das Leben der Bevölkerung bedrohen und für jedes Verbrechen verantwortlich sind.
Wenn die Regierung sich zu sehr von mir bedroht fühlt, macht sie den Laden dicht und das Spiel ist aus. Auch meine Beschäftigten können verhaftet werden, wenn sie zu oft zu kritisch sind. Genauso können sie aber auch kündigen, wenn ihnen der Ruf meiner Zeitung nicht mehr passt. Mit weniger Redakteur*innen kann ich weniger Artikel veröffentlichen und habe damit schlechtere Chancen, Zeitungen zu verkaufen.
Da steckt super viel Potential drin, doch das meiste wird leider vergeudet. The Westport Independent hat nämlich zwei große Probleme:
- Journalismus funktioniert so nicht.
- Selbstzensur funktioniert so nicht.
Journalismus funktioniert so nicht
Es ist geradezu absurd, wie platt das Zeitungsmachen dargestellt wird. Dass ich pro Überschrift nur zwei Möglichkeiten habe, wobei die eine Variante einigermaßen neutral, die zweite immer übelst reißerisch ist (mal in die eine, mal in die andere Richtung), ist super seltsam. Es macht einfach überhaupt keinen Sinn. Wenn ich wenigstens aus vier oder fünf Varianten wählen könnte. Es gibt in meiner Zeitung auch keine Trennung zwischen Meinungsartikeln und Nachrichten. Und jeder Artikel ist immer eine Seite lang, ich kann nur entscheiden, auf welcher Seite der Artikel erscheint. Hinzu kommt, dass ich meinen Redakteur*innen ja im Prinzip vorschreibe, welche Botschaft ihr Artikel haben soll und welche Informationen sie weglassen sollen. Das hat mit gutem Zeitungs-Journalismus wenig zu tun und erinnert an sich ja schon an ein autoritäres Regime.
Ja, schon klar, das ist ein Spiel aber es ist halt echt arg platt und simpel, teilweise auch grotesk falsch. Und mit dieser zu simplen Darstellung kann man die ethischen Probleme im Journalismus meines Erachtens kaum adäquat nachempfinden.
Selbstzensur funktioniert so nicht
Auch der Part mit der Selbstzensur ist leider zu platt. Zach Hines hat auf killscreen.com einen sehr spannenden Artikel dazu geschrieben. Er zeigt aus eigener Erfahrung, was Selbstzensur für Journalist*innen und Zeitungen bedeutet und erklärt, warum The Westport Independent scheitert. Der Aspekt der Themenwahl ist seiner Meinung nach noch am gelungensten, da hier die Selbstzensur eigentlich am deutlichsten wird. Aber:
[T]he rest of the game’s take on self-censorship is just too blunt and binary to feel real—it is solely and completely rebel vs. loyalist. In fact, the scariest part about self-censorship is the rarity of binary considerations; the slipperiness of the continuum.
Zach Hines
Etwas funktioniert aber doch
Spannend finde ich hingegen, dass mich The Westport Independent zwar mit einer lahmen binären Problematik konfrontiert, im Grunde aber beide Seiten scheiße sind. Weder das korrupte Regime noch die brutalen Rebellen sind Sympathieträger, beide sind auf ihre Art böse. Der Versuch möglichst neutral und ausgewogen zu berichten, führt immer zur Niederlage der Rebellen. Die Regierung zu stürzen ist knifflig und nicht einfach zu erreichen, fühlt sich aber nicht nach einem Erfolg an. Was dazu führt, dass man sich am Ende schon fragt, was das nun gebracht hat. Ausgerechnet am Ende, das die meisten Spieler anstreben werden, verlässt das Spiel dann seinen binären Pfad. Soll wohl heißen: Am Ende verlieren immer alle.
Fazit
Ich würde The Westport Independent gerne richtig gut finden, als Zeitungs-Simulation und als spielerische Erkundung presseethischer Fragen. Aber es ist einfach zu platt, sowohl in seiner Spielmechanik und seiner Simulation, als auch in seinen Fragen und Antworten zu presseethischen Problemen.
Ein Kommentar zu „Ethik und Moral in Computerspielen // The Westport Independent“