Ethik und Moral in Computerspielen // Gothic-Reihe

Screenshot aus Gothic 3
Gothic 3 (Piranha Bytes, 2006)

Vor einigen Monaten hielt ich einen Vortrag über die Darstellung von Ethik und Moral in Computerspielen. Einer der Zuhörenden fragte mich danach, wie denn Gothic 3 mit Ethik und Moral umgehe. Meine Antwort kam recht schnell: Eigentlich gar nicht. Ich hatte nicht geglaubt, dass das wirklich ein Thema sei.

Jedoch: Die Frage ließ mich nicht ganz los. Irgendwas musste doch der Student im Kopf gehabt haben, warum er ausgerechnet dieses Spiel ansprach. Als die Spiele vor Kurzem im Sale waren (99 Cent, hallo?) erinnerte ich mich wieder daran und brach von neuem auf, Khorinis und Myrtana zu erkunden.

Ich möchte in den folgenden Zeilen über die gesamte originale Gothic-Reihe sprechen. Ich werde keine einzelnen Blogbeiträge zu den einzelnen Teilen veröffentlichen. Das liegt daran, dass die Spiele für sich genommen nicht so viel hergeben würden. Gothic geht nicht besonders plakativ mit seiner Ethik um. Es gibt kein Moral-Barometer, es gibt selten explizit moralische Entscheidungen oder Grautöne, moralische Fragestellungen werden nicht direkt angesprochen. Man muss etwas buddeln, ein bisschen philosophieren, vielleicht auch ein wenig rumspinnen, um hier etwas zu finden, worüber es sich in diesem Blog zu reden lohnt.

Aber es macht Spaß. Mir zumindest hat es sehr viel Spaß gemacht, die Spiele von einer anderen Perspektive zu durchdenken.

Ein kleiner Dank vorweg: Ich habe Gothic 1 übersprungen und mir stattdessen die fantastische Podcast-Staffel von Down to the Detail dazu angehört. Vielen Dank an dieser Stelle für die ausführlichen Beschreibungen und Diskussionen. Das hat viele Erinnerungen wieder wachgerüttelt.

Gothic 1 und die Ethik der Hierarchie

In Gothic 1 bin ich ein Gefangener einer Strafkolonie. Ich weiß nicht, was ich getan habe, aber ich werde als Verbrecher in die Kolonie geworfen und bin dazu verdammt, mich in dieser Welt zurecht zu finden. Die Strafkolonie ist ein großes Gebiet, dass von einer magischen Barriere umschlossen ist. Du kannst von der einen Seite rein, aber kein Lebewesen kann da wieder raus. Deprimierend.

Die Welt von Gothic 1 ist also ein großes Gefängnis. Die Charaktere von Gothic 1 sind Gefangene. Die meisten sind auch wirklich Verbrecher. Keiner der NPCs ist hier wirklich frei. Alle sind eingeschlossen in dieser durch und durch männlichen Welt.

Ich hab keine Ahnung, wie es in deutschen Gefängnissen aussieht. Gott sei Dank. Aber ich kann mir vorstellen, dass es dort etwas gibt, was Gothic 1 bis in den letzten Pixel prägt: Hierarchien. Als Neuling bin ich der Bodensatz, der zur Begrüßung erstmal verprügelt wird. Ich muss mich von unten nach oben schleimen, bestechen, kämpfen. Als namenloser Held treffe ich so gut wie keine eigenen Entscheidungen. Alles was ich tue, ist Aufträge zu erfüllen. Es gibt immer jemanden, der eine Stufe höher steht und mir sagt, was als nächstes zu tun ist. Klar, ich muss das nicht machen, aber dann spiel ich halt das Spiel nicht. Im Prinzip bin ich der Spielball in den Konflikten der Spielwelt.

Wenn wir über Hierarchien reden, müssen wir über Verantwortung reden. Wenn ich als Spieler ständig nur Aufträge erfülle, welche Verantwortung trage ich dann an den Folgen? Bin ich verantwortlich dafür, dass die Sekte im Sumpf sich einem Dämon aussetzt? Bin ich verantwortlich dafür, dass eine Mine einstürzt und Menschen verschüttet werden? Oder sind nur meine „Vorgesetzten“ schuld. Diese Frage nach Verantwortung stellt das Spiel allerdings im Grunde nicht. Dinge passieren eben, würde mir der namenlose Held sagen und mit den Schultern zucken. Das ist ein bisschen Schade, denn als Spieler sind wir zwar der Spielball, aber wo wir auftauchen verändern sich die Dinge. Ohne die Frage nach Verantwortung zu stellen, fehlt hier die Möglichkeit mein Handeln zu hinterfragen.

Und jetzt spinnen wir mal ein wenig: Aristoteles nämlich beschreibt in seiner Nikomachischen Ethik drei Staatsformen also drei Formen von Hierarchie, die er für gut oder besser gesagt tugendhaft hält. Diese drei Staatsformen könnte man (mit etwas Fantasie) auf die drei großen Gruppen bzw. Lager in der Gothic Welt legen. Da hätten wir das Sumpflager, in der eine Art Monarchie herrscht. Ja, Y’Berion ist eher ein geistiger Führer und kein richtiger König, aber eben doch Alleinherrscher. Das Alte Lager ist eine Timokratie, also die Herrschaft der Reichsten. Die Macht der Erzbarone beruht zu großen Teilen auf ihrem Reichtum an Erz und den Annehmlichkeiten, die damit zusammenhängen. Und schließlich haben wir noch eine Aristokratie im Neuen Lager, in dem die Wassermagier, also eine gesonderte Gruppierung besonders edler und weiser Männer, herrscht.

Allen drei Lagern geht es auf gewisse Weise gut. Die Hierarchien haben sich etabliert und funktionieren, jeder hat seine Rolle, die meisten haben sich damit abgefunden. Es ist der Spieler, mit seiner elendigen Pflichtversessenheit, der brav alle Aufträge erfüllt und damit alles durcheinanderbringt. Das gut geölte System kippt und versinkt im Chaos. Damit ist der Spieler eigentlich ein Störer in einem tugendhaften System – und bringt doch am Ende die Befreiung und Vernichtung des Bösen.

Gothic 2 und die Suche nach dem Guten im Schlechten

Ok, auf zum nächsten Teil: Im Gegensatz zu Gothic 1 ist bei Gothic 2 gleich klar, dass es das Böse gibt, dass der namenlose Held bekämpfen muss. Da vergehen keine zwei Minuten und schon weiß ich: Es gibt eine große böse Bedrohung und ich (ausgerechnet) muss sie bekämpfen. Damit bin ich automatisch der Gute in der Geschichte, oder?

Ja, es könnte so einfach sein. Es ist ein Markenzeichen der Gothic-Reihe, dass auch der strahlende Held Makel und Flecken hat. Das wird besonders im zweiten Teil deutlich.

Auf meiner Heldenreise muss ich mich Gruppen anschließen und mit Gestalten zusammenarbeiten. Die meisten davon haben irgendwie Dreck am Stecken. Manche sehr offensichtlich wie die Diebesgilde oder die Söldner auf Onars Hof, manche eher versteckt und unerwartet, wie einige der Händler oder die selbstgerechten Paladine.

Als Spieler habe ich oft gar nicht die Wahl, mit wem ich da zusammenarbeite. Und so helfen mir beim Kampf gegen das Böse lauter Schlitzohren, Gauner, Mörder, Diebe, Erpresser, Dämonenbeschwörer und Fanatiker. Ich mag das. Ich finds super, wie Gothic 2 sozusagen die Sünder zu Rettern macht.

Ich hab ein bisschen recherchiert, wie andere Spieler*innen Gothic 2 gespielt haben. Da gibt es in Foren Diskussionen, wie man eine besonders gute Spielfigur durch Gothic 2 führt. Sie sollte immer nett sein (außer zu den bösen Menschen natürlich), nicht stehlen, nicht töten (außer die bösen Menschen), nicht der Diebesgilde beitreten, am besten Paladin oder Magier werden und (ohne Mist) möglichst nicht die Fauna der Spielwelt dezimieren wegen Artenschutz.

Für mich gibt das der zynische Spiele-Charakter überhaupt nicht her, ich halte den Helden für wahnsinnig pragmatisch. Wenn es ihm opurtun erscheint, wird er Gotteskrieger, wenn nicht eben Söldner. Aber wieder was gelernt: Selbst Gothic 2 bietet Platz für Rollenspiele und damit Platz für ein kritisches Hinterfragen der eigenen Taten.

Ich bezweifle allerdings, dass die meisten Spieler*innen so denken.

Gothic 3 und der goldene Mittelweg

Nun zum letzten offiziellen Teil der Trilogie. In Gothic 3 ist ein großer Krieg verloren gegangen. Orks beherrschen die Menschen. Sie werden entweder versklavt, getötet oder als Söldner billigend in Kauf genommen. Das Recht des Stärkeren regiert. Nur wer sich Respekt erkämpft, hat eine Chance.

In diese Welt kommt der namenlose Held an und befreit gleich als erste gute Tat ein Dorf. Ansonsten steht es ihm frei zu tun und zu lassen, was immer er mag. Gothic 3 ist wesentlich freier als die beiden Vorgänger – was nicht nur eine Stärke ist, aber das ist hier nicht so wichtig.

Viel wichtiger ist, in welche Richtung sich die Hauptquest dreht. Letztendlich erfährt der Spieler fast schon nebenbei, dass wohl ein ewiger Kampf tobt, zwischen dem Gott Innos und dem Gott Beliar. Beliar steht dank Ork-Übermacht kurz vor dem Triumph. Er ist es auch, der in den beiden Spielen vorher als abgrundtief böser Gott gezeichnet wird – was er sicherlich auch ist. Innos hingegen, ist mir in Gothic 1 und 2 hauptsächlich als guter Gott begegnet. Aber schon die fanatischen Paladine haben dem Bild noch einen weiteren dunkleren Farbton gegeben. Im Prinzip bilden Innos und Beliar zwei Extreme ab.

Letztlich ist es aber der goldene Mittelweg, der zur wahren Befreieung führt: Der Magier Xardas kennt einen Weg, die Menschen von allen Einflüssen der Götter zu befreien. Ein fast schon aufklärerischer Gedanke. Xardas bietet dem Spieler hier also einen tugendhaften Weg an, der ganz im Sinne Aristoteles, nicht den Extremen folgt, sondern die Mitte wählt.

Der goldene Mittelweg, also in diesem Fall die Befreiung der Menschen von den Göttern, von der fanatischen und extremen Einteilung in oben und unten, ist eigentlich auch der einzige logische Schluss. Beide anderen Enden sind sagenhaft deprimierend: Entscheide ich mich für Beliar oder Innos gibt es im Prinzip kein Ende, das Spiel könnte ewig weiterlaufen. Nur der goldene Mittelweg führt zu einem richtigen (tugendhaften) Schluss.

Fazit

Ja und nun? Man merkt natürlich, dass die Spiele der Gothic-Reihe andere Prioritäten haben, als ethische Fragen zu stellen oder den Spieler moralisch herauszufordern. Das ist auch völlig ok so. Wenn aber man ein bisschen um die Ecke denkt und ein wenig rumphilosophiert findet man die ein oder andere interessante Frage in dieser spannenden Fantasy-Welt.

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