
Seit einigen Jahren betreibe ich nun schon diesen Blog und doch ist Frostpunk das erste richtige Strategie- und Aufbauspiel, dass ich hier untersuche. Zugegeben, einige Punkte, die ich ansprechen werde, kennen treue Leser*innen schon von anderen Beiträgen zur Darstellung von Ethik und Moral in Comuterspielen. Das kommt vor allem daher, dass Frostpunk einen ganz starken Survival-Charakter hat, der schon Spiele wie The Banner Saga oder This War Of Mine (übrigens vom selben Entwicklerstudio wie Frostpunk) prägte.
Worum gehts eigentlich?
Frostpunk ist ein Stadt-Aufbauspiel. Meine Aufgabe ist es, eine Siedlung zu etablieren, in denen Menschen leben, wohnen, essen und arbeiten.
Der Clou an der Sache ist der Survival-Aspekt: Wir sind hier in einem postapokalyptischen Setting. Die Temperaturen fallen auf weit unter Minus 100 Grad und ich muss die Bürger*innen meiner Stadt vor Kälte, Hunger und Krankheiten schützen. Genretypisch sind die Rohstoffe knapp und nichts ist umsonst.
Ich baue also Häuser, damit es meine Bürger*innen schön warm haben, ich baue Suppenküchen, damit sie was zu essen bekommen und ich baue Krankenhäuser, damit ihre Frostbeulen schnell wieder kurieren – und sie endlich wieder arbeiten können! Denn ich brauche dringend die Arbeitskraft meiner Leute, um Rohstoffe zu sammeln: Kohle, Holz, Eisen, Nahrung.
Gleichzeitig muss ich dafür sorgen, dass ich den Menschen in meiner Gemeinschaft Hoffnung gebe und ihre Unzufriedenheit nicht zu groß wird. Das sind zwei wichtige Werte, die mir in zwei Balken angezeigt werden. Der eine Wert darf nicht zu hoch werden, der andere nicht zu tief fallen – sonst ist das Spiel vorbei.
Klassischerweise gibt es eine Forschungsstation mit der ich neue Technologien erforschen kann, etwa bessere Isolierung oder neue Möglichkeiten, Rohstoffe abzubauen.
Völlig unklassischerweise gibt es noch eine andere Art Forschung oder Technologie: nämlich Gesetze und Verordnungen.
Mit diesen Gesetzen kann ich zum Beispiel dafür sorgen, dass Kinder nicht arbeiten dürfen, dass Todkranke auf eine Palliativstation kommen oder dass ein Friedhof errichtet wird. Ich kann aber auch die Kinder in das Bergwerk schicken oder lediglich eine Grube für die Toten ausheben lassen.
Das sind kleine Stellschrauben, mit denen ich für ein funktionierendes Leben in der Eiswüste sorge. Diese Gesetze beeinflussen auf die ein oder andere Art die beiden Werte Hoffnung und Unzufriedenheit.
Später ist es mir dann möglich einen von zwei Wegen einzuschlagen: Ordnung und Glaube. Beide Wege sorgen dafür, dass die Hoffnung der Menschen steigt und die Unzufriedenheit sinkt. Mehr dazu gleich.
1. Überleben, überleben, überleben
Wie bei Banner Saga und This War Of Mine steht das Überleben meiner Leute im Vordergrund. Das ist das Spielziel nach dem sich alles ausrichtet. Alle Spielelemente dienen diesem Zweck und helfen mir dabei, das Leben in der Stadt zu sichern. Natürlich ist das Spiel fies und wirft mir immer wieder Steine in den Weg: Die Temperatur fällt, Leute werden krank oder sterben, es herrscht praktisch immer Mangel an allem.
Ich muss also ziemlich bald entscheiden, wohin ich eine wertvollen Ressourcen stecke, was meine Prioritäten sind und was dabei vielleicht runterfällt. So kann ich meine Arbeiter*innen in eine verlängerte Schicht schicken, weil ich einen bestimmten Rohstoff besonders dringend brauche. Ich kann entscheiden, den Generator weniger zu befeuern, um Kohle zu sparen, dabei aber riskieren, dass meine Leute krank werden. Ich kann mehr Forschungsstationen bauen, um schneller Innovationen zu erlangen, und dafür in Kauf nehmen, dass Menschen sterben, weil meine Krankenhäuser nicht besetzt sind.
All das sind auf der einen Seite natürlich strategische Entscheidungen. Aber aufgeladen durch das Setting eben auch moralische, denn ich entscheide quasi über Leben, Tod und Krankheit meiner Leute. Über dem Ganzen schwebt praktisch immer die Frage: „Was ist das Leben Einzelner Wert, wenn es um das Überleben einer Gemeinschaft geht?“ Meine Entscheidungen, meine Strategie sind meine Antwort auf diese Frage.
2. Totalitarismus ahoi!
Wie erwähnt, kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem meine Gesellschaft einen von zwei Wegen einschlagen kann: Wähle ich den Weg der Ordnung, dann etabliere ich zuerst Wachtürme und Patrouillen. Wähle ich den Weg des Glaubens, baue ich Schreine und Kirchen. Beides gibt meinen Leuten Hoffnung und senkt ihre Unzufriedenheit. Kool.
Beide Wege führen aber – wenn sie zuende gegangen werden – in eine bestimmte Form von Totalitarismus. Entweder etabliere ich einen Überwachungsstaat mit Propagandaapparat, Wachtürmen und Folter; oder ich wähle den Weg in einen Gottesstaat mit Inquisitoren, öffentlichen Auspeitschungen und meiner eigenen Quasi-Gottwerdung. Unkool.
Beide Endpunkte haben einen entscheidenden Vorteil: Ich muss mir um die Hoffnung meiner Leute keine Sorgen mehr machen. Die sind dann so auf mich gepolt, dass sie mir blind folgen.
Auf dem Weg zum Totalitarismus gibt es aber auch schon das ein oder andere Gesetz, das die Rechte meiner Bevölkerung drastisch einschneidet. Ich kann zum Beispiel Leute, die gegen meine Gebote verstoßen dazu verdonnern öffentlich Buße zu tun. Da knallen dann die Peitschen der mittelalterlichen Selbstkasteiung. Urks. Auf der anderen Seite kann ich „Verbrecher*innen“ zu Informanten machen und so meine Arbeiter*innen bespitzeln.
Etwas vorher klingen die Gesetze noch eingermaßen harmlos: Jeden Abend soll zum Beispiel eine Messe gelesen werden. Ich könnte auch die Gefängnisstrafe einführen. Klingt im ersten Moment auch nicht so tragisch, oder?
Beide Wege sind super spannend, weil sie erst nach und nach den Weg in die Diktatur offenbaren. Ich erlebe so hautnah, wie sich eine Geselschaft in eine Spirale begibt und ich meine Entscheidungen mit der außergewöhnlichen Situation rechtfertige: „Ach, was ist schon Meinungsfreiheit wert, wenn es um das Fortbestehen der Menscheiheit geht!“
3. Ein Moralhammer zum Schluss
Wenn ich eines der Szenarios beendet habe, dann zieht das Spiel eine Bilanz für mich. Es sagt dann sowas wie: „Schön, wir haben überlebt, manche haben es nicht geschafft, aber prima, dass wir das gemeistert haben. Aber… war es das alles wert?“
Die letzte Botschaft spielt darauf an, dass ich im Laufe des Geschehens, einige Entscheidungen getroffen habe, die hart waren. Ich habe Menschen in den sicheren Tod geschickt, ich habe Menschen ins Gefängnis gesteckt, ich habe die Schwerkranken nicht mehr behandelt, um mich auf die sicheren Fälle zu konzentrieren. Und und und. War es das wert?
Dieses Ende wird oft kritisiert: Wer will schon gerne moralisiert werden? In einem längeren Beitrag auf medium.com zu „The morality of Frostpunk“ beschreibt Nutzer Dan M wie zwei seiner Freunde auf das Ende reagiert haben:
„Shaun and Sean’s reactions were roughly the same – first some surprise, followed by anger and dismissal of the ending […]. What I find interesting is that both used the same excuses — that the game had ‘forced’ them to take these policies, and that they had ‘no choice’.“
Dan M – The morality of Frostpunk
Das ist natürlich fies. Es fühlt sich in der Tat manchmal so an, als ließe mir Frostpunk keine andere Wahl, als den Weg in die Diktatur zu gehen (es sei denn ich schraube den Schwierigkeitsgrad herunter). Ich werde sozusagen gezwungen einen moralisch fragwürdigen Weg zu gehen und werde dafür dann am Ende vom Spiel hinterfragt.
Aber werde ich wirklich gezwungen? Nein, natürlich nicht. Es ist möglich, das Spiel durchzuspielen, ohne sich als Möchtegerndiktator hochzuschwingen. Dan M beschreibt den Knackpunkt in Forstpunk folgendermaßen:
„The allure of authoritarianism — of ‘if I just implement this terrible thing, and restrict this liberty, then we’ll be able to get through whatever happens in the future’ — clearly has an impact on everyone.“
Dan M – The morality of Frostpunk
Es ist also allein schon die Möglichkeit, dass etwas schlimmes passieren könnte, auf das ich mich vorbereiten will, die mich zu meinen teilweise fragwürdigen Entscheidungen treibt. Aber vielleicht war es am Ende gar nicht nötig, die Geheimpolizei zu etablieren? Das ist genau die Frage, die das Ende aufwirft. War es das Wert? War das nötig? Hättest du das vielleicht auch anders geschafft?
Frostpunk lässt mir halt doch die Wahl, wie weit ich gehen möchte und wie weit für mich „zu weit“ ist. Es sagt mir nicht: „Das und das hast du falsch gemacht“, sondern es fragt mich, wie ich meinen Weg am Ende werte.
Allerdings: Wenn ich das Szenario schaffe, dabei viele Menschen rette und den Totalitarismus-Weg nur teilweise beschreite, werde ich vom Spiel gelobt. Es gibt also doch einen Weg, der vom Spiel als „gut“ beschrieben wird. Das interessante aber ist, dass es keinen „schlechten“ Weg gibt.
Fazit
Frostpunk ist eines der eindruckvollsten Beispiele, wie Moral und ethische Fragen ein essentieller Bestandteil eines Spiels werden können.
Folgende Aspekte habe ich identifiziert:
- Frostpunk kombiniert ein Survival-Setting mit klassischer Aufbaustrategie. Das führt dazu, dass meine strategischen Entscheidungen moralisch aufgeladen werden und gesellschaftsrelevante Fragen aufwirft.
- Die Gesetze, die mir helfen, die Stimmung meiner Leute aufrecht zu halten, führen auf lange Sicht in eine Diktatur. Ich muss diesen Weg nicht beschreiten und entscheide selber, wie weit ich gehen will.
- Das Ende hinterfragt meine Entscheidungen mit einem einzigen Satz. Es wertet mich nicht auf einer Gut-Böse-Skala. Stattdessen werde ich selber aufgefordert, meinen Spielverlauf einzuordnen, zu bewerten und zu reflektieren.
Ohne diese Punkte wäre Frostpunk sicherlich ein schlechteres und langweiligeres Spiel. Der Erfolg des Titels spricht dafür, dass es durchaus Sinn macht, ethische und moralische Fragestellungen in einem Spiel darzustellen.
Ein Kommentar zu „Ethik und Moral in Computerspielen // Frostpunk“